„Im Grunde gibt es Materie gar nicht. Jedenfalls nicht im geläufigen Sinne. Es gibt nur ein Beziehungsgefüge, ständigen Wandel, Lebendigkeit. Wir tun uns schwer, uns dies vorzustellen. Primär existiert nur Zusammenhang, das Verbindende ohne materielle Grundlage. Wir könnten es auch Geist nennen. Etwas, was wir nur spontan erleben und nicht greifen können. Materie und Energie treten erst sekundär in Erscheinung – gewissermaßen als geronnener, erstarrter Geist. Nach Albert Einstein ist Materie nur eine verdünnte Form der Energie. Ihr Untergrund jedoch ist nicht eine noch verfeinerte Energie, sondern etwas ganz Andersartiges, eben Lebendigkeit. Wir können sie etwa mit der Software in einem Computer vergleichen.“
Ungewöhnliche Worte für einen Naturwissenschaftler – ausgesprochen in einem Interview mit der Zeitschrift PM im Jahre 2007. Hans-Peter Dürr gehörte nicht zu der Sorte Physiker, die sich vom Materialismus einfangen ließen. Angewidert von den menschlichen Enttäuschungen des Zweiten Weltkriegs, wollte er einen Beruf wählen, „wo ich selber entscheiden kann, was richtig und was falsch ist“. In einem Radiointerview hörte er Werner Heisenberg sagen: Wissenschaft ist wichtig, weil es etwas sei, worauf sich Menschen einigen können. Dürr wurde später ein gleichermaßen treuer wie kritischer Schüler des berühmten Physikers. Die Ziele von Frieden, Freiheit und Menschlichkeit stets im Blick, engagierte er sich gegen die atomare Überbewaffnung und gehörte zur Pughwash-Bewegung, die 1995 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. Er war Träger des alternativen Nobelpreises und des Bundesverdienstkreuzes, sowie Mitglied im angesehenen „Club of Rome“.
Je tiefer er als Wissenschaftler in die Elementar- und Quantenphysik vordrang, umso mehr wuchs sein Interesse an Fragen zur Erkenntnistheorie. Auf der Suche nach dem Erleber hinter den Dingen, ließ sich Hans-Peter Dürr gerne auf den Dialog mit den Religionen ein. Insbesondere bei Buddhisten verschiedenster Schulen war er sehr angesehen. 2008 etwa veranstaltete die Buddhismus Stiftung Diamantweg in München das Symposium „wie wirklich ist die Wirklichkeit“, wo er mit dem dänischen Lama Ole Nydahl und Prof. Harald Weinfurter (Professor für Quantenoptik an der LMU München) eine gleichermaßen spannende wie inspiriernde Diskussion führte.
Professor Dr. Hans-Peter Dürr starb am Sonntag in München im Alter von 84 Jahren.
© Michael den Hoet
Linktipps:
„Der Unbequeme“ Nachruf in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ v. 19.5.2014)
„Buddhismus und Wissenschaft“, Symposium München, 11. August 2008 dazu auch
Bericht zum Symposium in der „Buddhismus Heute“
Hans-Peter Dürr im Interview mit „Quantica“ (YoutTube, 46 1/2 min.)