Den aktuellen Ereignissen im Iran kann man kaum genug Aufmerksamkeit schenken. Sie sind bedeutsam für die ganze Welt
Obwohl damals keine 15 Jahre alt, kann ich mich gut daran erinnern, wie 1979 der Schah von Persien gestürzt wurde. Ich sehe noch die Bilder vor mir vom finsteren Ajatollah Khomeini, der mit dem Flugzeug aus dem Exil zurückkehrte, um sich an die Spitze einer Volksbewegung zu stellen. In den Nachrichten der nächsten Monate bekam ich mit, wie seine fanatischen Islamisten die linken und bürgerlich-liberalen Kräfte der einst gemeinsamen Revolution austricksten, sie verfolgten und ermorden ließen – einige davon sogar in Europa auf offener Straße. Unter der Bezeichnung „Islamische Republik Iran“ errichteten sie eine radikalreligiöse Diktatur.
Die mutigen Frauen des Iran leisteten damals mit Demonstrationen noch am längsten Widerstand gegen die neue Herrschaft – bis auch sie mit Terror unterworfen wurden. Ursprünglich sollten sie nach dem Willen der neuen Machthaber öffentlich in Textilgefängnissen – genannt Niqab oder Burka – herumlaufen. Dass die Frauen schließlich „nur“ mit Kopftuchzwang belegt wurden, verkauften die neuen Tyrannen als „Zugeständnis“. De facto wurde die weibliche Hälfte der Gesellschaft fortan vom repressiven Staat wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Islamistische Hardliner – unter ihnen der spätere Präsident Ahmadinejad – stürmten die US-amerikanische Botschaft, nahmen das gesamte Personal als Geiseln, demütigten es vor den Augen der Weltöffentlichkeit. Erst nach 444 Tagen konnten der Botschafter und seine Angestellten, die nach internationalem Recht eigentlich Anspruch auf diplomatischen Schutz gehabt hätten, ausreisen.
Die „Islamische Revolution“ im Iran war ein Weckruf für einen neuen politischen Islam in der ganzen Welt. Von ihr beflügelt, entstanden Terrorgruppen in Afghanistan, nachdem es Ende 1979 von sowjetischen Truppen besetzt worden war – und anderswo. Sie stärkte die Moslembruderschaft in Ägypten, die 1981 Staatschef und Friedensnobelpreisträger Anwar El Sadat ermordete, weil er Israel die Hand zum Frieden ausgestreckt hatte. Der Iran unterstützt bis heute aktiv Terrororganisationen unter anderem im Libanon, in Syrien oder bei den Palästinensern auf israelischem Gebiet.

Gedenken an Jina Mahsa Amini – Mahnwache in Hamburg, 17.9.22
Nur wenige Monate vor seinem Tod veröffentlichte Ajatollah Khomeini einen Mordaufruf gegen den Schriftsteller Salman Rushdie, der in seinem Werk „Die satanischen Verse“ religiöse Dogmen literarisch infrage gestellt hatte. Mehrere Übersetzer seiner Bücher wurden in verschiedenen Kontinenten überfallen und ermordet – ein klarer Angriff gegen die demokratische Meinungsfreiheit weltweit, der bis heute nachwirkt.
Das Regime macht geflohenen Iranern bis heute auch in freien Ländern das Leben schwer, betreibt über Botschaften, Konsulate sowie Moscheegemeinden Spionage und Lobbyarbeit zugunsten der Mullah-Diktatur.
Obwohl die schiitische Ausrichtung der Iraner eigentlich nur eine Minderheit im Islam ist, beeinflusste die von Teheran aus betriebene Politisierung von Religion muslimische Gemeinschaften in der ganzen Welt – bis hin zu manchen Islamverbänden in Deutschland. Die unsägliche, ja: dümmliche Kampagne, mit der sie uns in den letzten Jahren das Kopftuch als eine Art kulturellen Feminismus verkaufen wollen, ist nur ein Beispiel unter vielen.
Nach einigen Wirrungen erschütterten im November 2019 Unruhen den Iran. Das Regime und seine Schergen reagierten brutal. Geschätzt 1500 Menschen verloren ihr Leben. Immer mehr mutige, meist junge Frauen streiften seitdem in der Öffentlichkeit ihre Kopftücher ab und stellten ihre Portraits mit wehenden Haaren ins Internet. Wurden sie von der berüchtigten „Sittenpolizei“ erwischt, waren oft Misshandlungen und langjährige Haftstrafen die Folge.
Im September dieses Jahres eskalierte die Situation. In Teheran wurde die 22-jährige iranische Kurdin Jina Mahsa Amini am hellichten Tag von Sittenwächtern gewaltsam in ein Polizeiauto gezerrt, weil sie angeblich ihr Kopftuch nicht korrekt getragen habe. Wenige Stunden später kam sie mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus, fiel ins Koma und starb drei Tage später. Die offensichtliche Ausrede der Behörden, die junge Frau hätte angeblich einen Herzinfarkt mit anschließendem Schlaganfall erlitten, glaubte niemand. Die Stimmung explodierte. Der Protest hat inzwischen das ganze Land erfasst: Straßen, Universitäten, Schulen, Arbeitsplätze. Bewaffnete Beamte und Agenten schlagen zurück, Viele junge Menschen sterben. Trotz Internetsperren gelangen immer wieder Bilder und Videos in die freie Welt. Insbesondere engagierte Exil-Iranerinnen und -Iraner teilen sie über soziale und öffentliche Medien.
Die Auswirkungen der Islamischen Revolution im Iran 1979 haben dem Westen bis heute viele Probleme bereitet. Wer bei uns wirklich von Freiheit und Demokratie beseelt ist, kann eigentlich nicht anders, als die derzeitige Revolte der Frauen im Iran von ganzem Herzen zu unterstützen. Ein demokratischer Iran, der die Freiheit der Frau wertschätzt, wäre ein Segen für die ganze Welt. Was könnten wir darüber hinaus alles gewinnen? Unter anderem:
* einen Stopp des iranischen Atomprogramms, das nicht nur für den Orient ein großes Sicherheitsrisiko darstellt,
* ein Ende der Vernichtungsdrohungen gegen Israel,
* weniger Terror im Nahen Osten, da Gruppen wie die Hamas (Gazastreifen) oder Hisbollah (Libanon) keine Hilfe der Mullahs mehr bekämen,
* bessere und ehrliche Wirtschaftsbeziehungen nach einem möglichen Wegfall von Sanktionen,
* weniger Aufwertung restriktiver Diktaturen wie in China oder Russland, die bisher hervorragend mit dem Regime im Iran kooperierten,
* eine bessere Öl- und Gasversorgung für Europa,
* mehr Realismus im Umgang mit dem politischen Islam,
* weniger Druck auf Exiliraner bzw. Deutsche iranischer Herkunft (übrigens: eine der am besten integrierten Zuwanderergruppen bei uns).

Trauermarsch in Saqqez, 26.10.22. Am vierzigsten Tag nach dem Tod von Jina Mahsa Amini protestieren Zehntausende nahe ihrem Grab.
Bei ihrem Amtsantritt hatte sich die deutsche Außenministerin Baerbock das Ideal einer „feministischen Außenpolitik“ auf die Fahnen geschrieben. Jetzt hätte sie die beste Gelegenheit dazu. Bislang tut sich ihr Ministerium schwer mit konsequenten Sanktionen gegen Angehörige des Mullah-Regimes und gegen ihre Handlanger in Deutschland. Hoffentlich ändert sich dies nun. Deutsche Medien, die 2019 über den blutig unterdrückten Aufstand im Iran nur spärlich berichtet hatten, beginnen jetzt endlich die Dimension der aktuellen, wütenden Volksbewegung in allen Provinzen des Landes zu erfassen. Trotz anderer zeitgeschichtlicher Ereignisse (wie dem Krieg in der nahen Ukraine) wäre eine noch breitere und lautere Berichterstattung sehr zu wünschen.
Die Leitparole Jin – Jiyan – Azadi! („Frauen – Leben – Freiheit“) berührt, macht sie doch deutlich, dass im Iran nun auch die normalen Männer verstehen, wie wichtig es ist, Frauen, Freiheit und Menschenwürde zu schützen und zu verteidigen. Aus den Flammen des Protestes ist längst ein Flächenbrand geworden. Das Volk ist die Islamische Republik satt. Die Noch-Machthaber im Iran haben keine Legitimität mehr. Die freie Welt darf nun nicht wegschauen. Sie muss den Druck auf das marode Regime erhöhen.
Beim Anblick von aktuellen Kurzvideos der derzeitigen Revolte muss ich immer wieder an einen Refrain aus einem Lied des Musikers Peter Gabriel denken, das er dem schwarzen Bürgerrechtler Steven Biko widmete, der 1977 in einer südafrikanischen Polizeistation zu Tode gefoltert wurde:
You can blow out a candle
But you can’t blow out a fire
Once the flames begin to catch
The wind will blow it higher
Mögen die Frauen des Iran bald frei sein!