Ungarn: Religionsgesetz bedroht buddhistische Schulen der Roma (2012)

[Aus: „Buddhismus Heute“, Nr. 52/2012] © Michael den Hoet / Buddhismus Heute

BUDAPEST – Ein Gesetz über die religiösen Gemeinschaften in Ungarn hat in In- und Ausland Kontroversen ausgelöst. Mit der am 30. Dezember 2011 verabschiedeten Regelung verloren die meisten der vormals fast vierhundert registrierten religiösen Organisationen ihre staatliche Anerkennung. Elf traditionelle Kirchen sowie drei jüdische Vereinigungen behielten ihre Registrierung und die damit verbundenen rechtlichen Privilegien sowie finanziellen Vorteile. Ende Februar erkannte das Parlament achtzehn weitere Gemeinschaften an, die seit mindestens zwei Jahrzehnten im Land aktiv gewesen waren oder seit über hundert Jahren international existieren. Sechs buddhistische Organisationen erlangten so den Status als anerkannte Religionsvereinigung zurück, darunter die Diamantweg Buddhistische Gemeinschaft und die Ungarische Karma Kagyüpa Buddhistische Gemeinschaft. Letztere steht dem Dhagpo Kagyü Mandala nahe und folgt ebenfalls Karmapa Thaye Dorje [, spirituelles Oberhaupt in der Karma Kagyü-Tradition des Tibetischen Buddhismus].

Nicht berücksichtigt wurde die Dzsáj Bhím Organisation – ein Netzwerk, das mit beachtlichem Erfolg in mehreren Dörfern des Landes Schulen betreibt, die den Namen des Begründers der Neo-Buddhistischen Bewegung in Indien tragen, Dr. Babasaheb Ambedkar. Das Besondere an diesen Lehranstalten: Es sind buddhistische Schulen für die Kinder der Roma-Minderheit, die hier allgemein Zigeuner genannt werden. Die Roma/’Zigeuner‘ sind die größte Minderheit in Ungarn. Mindestens eine Viertelmillion Menschen gehören zu ihnen, andere Schätzungen sprechen von bis zu einer Million. Davon leben viele in verwahrlosten Siedlungen ohne fließend Wasser, vorwiegend im Norden und Südosten des Landes. Ihre Kinderzahl ist hoch, 14jährige Mütter sind keine Seltenheit. Entsprechend niedrig ist das Bildungsniveau. Viele junge Roma schaffen keinen Schulabschluss und rutschen in die Kriminalität ab.

Die derzeitige Stimmung in Ungarn meint es nicht gut mit dieser Bevölkerungsgruppe. Im Frühjahr 2011 versetzten „Anti-Zigeuner“-Protestmärsche von Mitgliedern der als rechts-nationalistisch geltenden Partei Jobbik mehrere Roma-Orte in Angst und Schrecken. Es kam zu Ausschreitungen; andere EU-Staaten protestierten. Die stramm konservative Regierung unter Premierminister Viktor Orbán steht wegen ihres autoritären Politikstils international in der Kritik.

Wir wollen den Menschen mehr Möglichkeiten geben, ihr Bildungsniveau anzuheben, damit auch sie eine Chance haben“, erklärt der Leiter der Dr. Ambedkar-Schule in Sajókaza, Tibor Derdák. Der Buddhist Derdák gehört selber den Roma an und wirbt international für die von ihm mitbegründeten Schulen, mit deren Hilfe langfristig der soziale Aufstieg gelingen soll. Besondere Sympathien genießt das Projekt in Indien. Es gibt enge Verbindungen zu indischen Neo-Buddhisten, die aus der Bürgerrechtsbewegung der Dalits hervorgegangen sind – den vielen Millionen Outcasts, die seit Jahrhunderten vom hinduistischen Kastenwesen diskriminiert werden (siehe auch Buddhismus Heute Nr. 44 und Nr. 45). Die ursprüngliche Sprache der Roma ist eng mit Sanskrit verwandt. Die Vor-Vorfahren der ungarischen Roma sollen vor langer Zeit aus Indien ausgewandert sein, weil auch sie als Kastenlose galten. Eine wissenschaftliche Theorie besagt, dass diese Urahnen Buddhisten gewesen seien. Auch das ist ein Grund, warum sich in den letzten Jahren Tausende Roma dem Buddhismus zugewandt haben.

Weil nun mit dem neuen Religionsgesetz Steuervorteile verloren gegangen sind, ist die Finanzierung unsicher und die Zukunft des Bildungsprojektes ungewiss. Eigentlich hatte Tibor Derdák neben der Ambedkar-Schule von Sajókaza eine Kindertagesstätte bauen wollen, wo die vielen minderjährigen Mütter während der Schulzeit ihre Kinder hätten unterbringen können. Stattdessen musste er schweren Herzens mehrere Lehrer entlassen. Gegen das neue ungarische Religionsgesetz ist eine Klage beim Europäischen Gerichtshof anhängig.

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[Weitere Informationen im Internet: http://www.jaibhim.hu/; http://www.ambedkar.eu/ (jew. engl.)]

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