[Dieser Beitrag erschien am 23.07.2012 unter Pseudonym auf der Nachrichtenplattform Europenews] © Michael den Hoet / Europenews
Die nicht gelernte Lektion München 1970 – Vorboten arabischen Terrors
Was würde man heute denken, wenn führende Politiker Deutschlands veranlassten, Terroristen und Mörder in arabische Länder abzuschieben – nur um peinliche Prozesse und etwaige terroristische Erpressungsversuche zu vermeiden? Vor 42 Jahren passierte genau dies: Nach einer Serie tödlicher Anschläge gegen Juden und den europäisch-israelischen Flugverkehr verriet der bundesdeutsche Rechtstaat seine Werte. Er ging vor palästinensischem Terror in die Knie.
Wer am vergangenen Dienstag bis spät in die Nacht vor dem Fernseher ausharrte, konnte just dies in einer journalistisch und stilistisch brillianten Dokumentation „München 1970“ nachvollziehen. In einer teils sehr persönlich berührenden Weise zeichnet der Autor Georg M. Hafner die Geschichte einer Terrorserie nach, die vordergründig mit dem Nahostkonflikt zu tun hatte: Einer Terrorserie, in die aus der Studentenbewegung hervorgegangene deutsche Linksextremisten verwickelt waren, inklusive die Sozialromantiker der berühmt-berüchtigten „Kommune 1“. Einer Terrorserie, aus der deutsche und westliche Stellen die falschen Schlüsse zogen – mit fatalen Folgen.
Am 9. November 1969, dem Jahrestag der Reichsprogromnacht, zündet wahrscheinlich ein linksextremer Student einen Brandcocktail im jüdischen Gemeindezentrum Berlin.
Am 10. Februar kommt bei einem Entführungsversuch einer El Al-Maschine auf dem Flughafen München-Riem ein Mann ums Leben. Mehrere Menschen werden schwer verletzt, unter ihnen ist auch der israelische Pilot, der durch mutige Gegenwehr Schlimmeres verhindert.
Drei Tage später werden durch einen Brandanschlag auf jüdisches Altenheim in der Bayrischen Landeshauptstadt sieben Menschen getötet. Sie waren allesamt Überlebende des Holocaust gewesen.
Am 21. Februar sterben bei einem Flugzeugabsturz infolge eines Bombenanschlags nahe Zürich 47 Menschen. Unter ihnen ist Rudolf Crisolli, internationaler ZDF-Korespondent und Onkel des Filmautors. Crisollis Maschine war auf dem Weg nach Israel. Georg M. Hafner zeichnet anhand persönlicher Unterlagen den Weg des Starreporters bis zum tödlichen Flug nach. Die Terroraktion war von palästinensischen Arabern vorbereitet worden, die damals zum Teil in München lebten.
Es war nicht der erste Anschlag auf den europäsich-israelischen Luftverkehr gewesen:
1968 war eine El Al-Maschine, auf dem Flug von London nach Tel Aviv, von Entführern nach Algerien umgeleitet worden. Erst nach vierzig Tagen kommen die letzten Passagiere des Fluges im Austausch gegen neunzehn arabische Häftlinge, die in Israel einsitzen, frei. Die israelische Airline reagiert darauf mit strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Andere Fluggesellschaften sind weniger konsequent. Auch als die ersten Bomben im Gepäck westlicher Airlines auftauchen, reagieren sie anders als ihre israelischen Kollegen: Um Unannehmlichkeiten gegenüber Kunden und Wettbewerbsnachteile zu vermeiden zahlen sie – dafür liefert die Reportage Hinweise – „Schutzgeld“ an palästinensische Terrororganisationen. Es nützt nichts: Im September 1970 werden zeitgleich drei Flugzeuge aus den USA, Großbritannien und der Schweiz in die Wüste Jordaniens entführt und dort in die Luft gesprengt. Die Entführung einer vierten Maschine – eine israelische der El Al – kann dank eines gewagten Sturzflugmanövers des geistesgegenwärtigen Piloten verhindert werden.
„Ein Vorgeschmack auf den 11. September 2001“, heißt es in dem Film dazu.
Sehr blamabel an der ganzen Angelenheit: Obwohl die meisten der beteiligten arabischen Täter vom 10. und 21. Februar gefasst werden, entlassen deutsche Behörden sie allesamt, noch bevor es zum Gerichtsverfahren kommt, auf Geheiß der Bundesregierung in arabische Länder. „’Man wolle zur Beruhigung der Situation im arabischen Raum beitragen‘, erklärt die Bundesregierung – und schiebt die Mörder ab“, stellt dazu der Autor des Filmes fest.
Freilich steckte dahinter auch eine andere Angst: Auf dem Flughafen Zürich war es im Februar 1969 ebenfalls zu einem Entführungsversuch gekommen. Ein Attentäter starb durch Schüsse von Sicherheitsbeamten. Die drei anderen wurden in der Schweiz zu hohen Haftrafen verurteilt. Nach der Entführung einer Swissair-Maschine wurden sie indes im Tausch gegen die verschleppten Passagiere freigelassen. Die Bundesregierung in Bonn wollte durch die Abschiebung der Terroristen vermeiden, dass auch deutsche Flugzeuge entührt werden würden um Terroristen freizupressen. Eine feige Haltung, die auch nach dem peinlichen Olympia-Attentat von München 1972 zum Zuge kam – und spätere Kriminaltaten von RAF und Palästinensischen Terrororganisationen nicht verhinderte, sondern – im Gegenteil – erst ermutigte.
Von München 1970 gingen mehrere Linien zu späteren Terroraktionen aus: Zum Attentat auf die israelische Olympiamannschaft 1972, zum RAF-Terrorismus der späteren 1970er Jahre, zum Bombenanschlag auf das Flugzeug, bei dem 1988 über Lockerbie 270 Menschen starben, zum verhängnisvollen 11. September 2001.
Es ist nicht zu begreifen, dass die Terroranschläge sowie die unverantwortliche deutsche „Appeasement-Politik“ 1970 gegenüber Terroristen und Mördern, die man aus naiver Feigheit laufen ließ, nie öffentlich thematisiert worden sind: Eine verpasste Aufarbeitung der Zeitgeschichte!
In dem Film kommen unter anderem zwei Piloten, die 1970 durch mutiges Eingreifen Ihre Passagiere schützten, zu Wort. Uriel Cohen war Kapitän der Maschine, die am 10. Februar in München entführt werden sollte. Als er am 22. Februar – einen Tag nach dem Anschlag von Zürich – das Krankenhaus verlassen konnte und bei seiner Ankunft in seiner Heimat als Held gefeiert wurde, gab er den Europäern ein denkwürdiges Statement mit auf den Weg:
„Ich habe das Gefühl, dass es das erste Mal in Europa ist, dass ihr richtig geschockt seid. Vielleicht kann aus dieser Katastrophe, der Qual der Leute, die gestern gestorben sind, etwas Gutes entstehen. Ihr in Europa solltet begreifen, dass dies [= der Terror] auch eure Sache ist, genauso wie für uns.“
Wenige Monate später sitzt Uri Bar-Lev am Steuer des Flugzeuges, das parallel mit drei westlichen Maschinen nach Jordanien entführt werden soll. Der kühne Flugkapitän kann dies vereiteln. Rückblickend ist er konsterniert über die lasche Haltung westlicher Regierungen und Fluggesellschaften, die dachten, sie könnten sich durch „Appeasement“ den palästinensischen bzw. arabischen Terrorismus vom Leibe halten:
„Sie dachten, dass man sich mit Terroristen eingen kann. Aber Terrorismus schließt jede Einigung aus. Terrorismus ist gegen jede Art von Gesetz und Verständigung. Im Gegenteil: Es ist das Wesen des Terrorismus das Gesetz zu brechen. Ich denke, wenn Europa und die Welt in den 1970er Jahren den Terrorismus bekämpft hätten, wäre 9/11 [= der 11. September 2001] nicht passiert. Jeder aber hat Angst gehabt und sich nur um seine eigenen Interesssen gekümmert, nach dem Motto ‚Lieber nichts tun, ich halte mich da raus‘, denn jedes Eingreifen ist immer mit Gefahr verbunden.“
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Filmdokumentation „München 1970 – wie der Terror zu uns kam“ auf Youtube
Siehe dazu auch:
Rezension in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung/FAZ Online
Rezension in der Welt/Welt Online
Rezension taz Online
‚Der Flugzeugabsturz von Würenlingen und linker Antisemitismus‘ – SRF Online
Rezension auf faehrtensuche.wordpress.com