[Aus: „Buddhismus Heute“, Nr. 35/2003, Rubrik „Nachrichten & Hintergründe“] © Michael den Hoet / Buddhismus Heute
BANGKOK – Sie haben ihr Land in der Vergangenheit stark geprägt und tun es noch immer: Die Mönche Thailands. Nach offiziellen Angaben gibt es zurzeit über 300 000 von ihnen, Novizen nicht mitgerechnet. Bei den 61 Millionen Thailändern, die sich offiziell zu 95 % zur Lehre Buddhas bekennen und für die der Theravada-Buddhismus praktisch Staatsreligion ist, genossen sie bislang hohes Ansehen. Doch die Zeiten haben sich geändert: Thailands Mönche sind ins Gerede gekommen.
Woran mag das liegen? Am zunehmend lockeren bis fahrlässigen Umgang der Bevölkerung mit der Sexualität, die dem Land in den letzten Jahrzehnten einerseits viele Touristengelder, andererseits auch ein großes HIV-Problem beschert hat? In einem solchen Umfeld müsste ein ehrenwerter buddhistischer Robenträger schon fast wie eine Erscheinung von einem anderen Stern wirken. An der immer noch geltenden Benachteiligung der in den geistlichen Stand strebenden Frauen? Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wird ihnen noch immer die volle Ordination verweigert – modern wirkt das nicht gerade. An der wachsenden Zahl von unechten Mönchen im Bangkoker Straßenbild – Bettlern, die sich nur in Kutte werfen um von nichts ahnenden Touristen Geld zu erhaschen? Wie peinlich.
Wenn ein buddhistischer Mönch Thailand einen Reisepass haben möchte, muss er umständliche bürokratische Schikanen und lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Kann ein thailändischer Normalbürger, der sein Reisedokument binnen 2 Tagen erhält, angesichts dieser würdelosen Bevormundung durch den Staat noch Respekt vor den Würdenträgern haben?
Doch dieser Schein trügt. In vielen Dingen haben sich die Mönche Thailands durchaus der neuen Zeit gefügt. Viele von ihnen leisten großartige Arbeit bei der Hilfe zum Drogenentzug und der Betreuung von AIDS-Kranken. Inzwischen wurde im Parlament eine politische Initiative zur – man beachte! – „Zulassung von Frauen zum Mönchstum“ gestartet, was wohl im Einklang mit der Verfassung stünde. Und was die vagabundierenden Falschmönche anbelangt – man erkennt sie daran, dass sie beim Betteln sitzen oder stehen anstatt, wie vorgeschrieben, im Gehen um eine milde Gabe zu bitten: Eine Art Mönchspolizei versucht jetzt, sie aus dem Straßenbild herauszufiltern.
Einige prominente Mönche haben sich in der jüngeren Vergangenheit gar zu zeitgemäß und volksnah gezeigt. Galt es lange als anrüchig, wenn sich ein Mann im safrangelben Gewand von einer Frau berühren ließ – zwecks Vermeidung unerwünschter Körperkontakte gibt es in Bussen reservierte Sitzplätze für Mönche – so wurden in den letzten Monaten wiederholt hohe Würdenträger ertappt, die bei nächtlichen Ausflügen Kontakte mit dem schönen Geschlecht gerade nicht vermieden. Thailändische Journalisten entwickelten durchaus Ehrgeiz, die Öffentlichkeit hinterher mit belastendem Filmmaterial von solchen Treffen in Kenntnis zu setzen.
Da war etwa der Fall des Abtes Thammathorn Wanchai, der ein Doppellleben entwickelt hatte: tagsüber Mönch, nachts Lebemann. Ein TV-Team filmte ihn dabei, wie er mit einem großen Mercedes aus seinem Tempel herausfuhr, nach einigen Minuten anhielt, um seine gelbe Kluft mit einer vornehmen Armeeuniform zu vertauschen und danach zu einem Etablissement vorzufahren, in dem er dann die Nacht mit zwei Gespielinnen verbrachte. Viel Aufsehen erregte vor gut einem Jahr auch der sehr bekannte Abt Issaramunee, der sogar den Ministerpräsidenten des Landes zu seinen Schülern zählte. Seine intimen Briefe an eine gewisse „Umaporn Uma“ – offensichtlich eine Art Künstlername, unter dem die Dame ihrem Gewerbe nachging – wurden ihm zum Verhängnis. Auf dunklen Kanälen gelangten sie ins Abendfernsehen: Sein Ruf war dahin. In einem offenen Brief schimpfte Issaramunee über die Unaufrichtigkeit der Medien – und legte seine Roben ab. Aber auch die Ansammlung materiellen Eigentums einiger privilegierter Mönche fand öffentliches Interesse. Phra Khru Viboon Pattanakit, Abt eines Klosters in Bangkok, glänzte dabei mit einer Kollektion von ca. 60 Luxusautos, wobei die deutsche Marke mit dem Stern klar vorne lag.
Wie aber kommen einige Mönche zu solch einem Reichtum? Die Angelegenheit Dhamachayo, einem anderen Mönch-Magnaten, lässt es erahnen. Er muss sich vor Gericht verantworten, nachdem bekannt geworden war, dass er aus dem Vermögen des von ihm verwalteten Prathum Thani Tempels nördlich von Bangkok – einem der wohlhabendsten des Landes – mindestens umgerechnet 860 000 US-Dollar unterschlagen hatte. Im Juni gerieten zwei Mönche in einem Kloster am Rande der Hauptstadt über die Verteilung von Spenden gar so sehr in Streit, dass der Ältere seinen Revolver zückte und sein Gegenüber schwer verletzte, bevor er sich selbst erschoss. Den spektakulärsten Auftritt der letzten Monate dürfte indes Sayan Chitasuro aus der südöstlichen Provinz Chanthaburi gehabt haben. Im Mai dieses Jahres stürmte er, mit einem Maschinengewehr bewaffnet, das Parlament und nahm vorübergehend 30 Personen als Geiseln. Er forderte ein persönliches Gespräch mit dem Ministerpräsidenten über eine schikanöse Behandlung durch die Polizei, die er einige Jahre zuvor erlebt hatte. Nach einer Stunde wurde er von drei als Journalisten getarnten Polizeibeamten überwältigt. Wie diese hinterher mit ihm umgingen ist übrigens nicht bekannt.
Von solchen Eskapaden können die meisten Mitglieder des geistigen Standes nur träumen. Sie fallen durch subtilere Dinge auf. Statistiken belegen, dass der Tabakkonsum bei thailändischen Mönchen Todesursache Nr. 1 ist – die Hälfte von ihnen sind gewohnheitsmäßige Raucher. Zum Vergleich: In der thailändischen Bevölkerung liegt der Anteil der Raucher bei gut 20%. Eine staatliche Kampagne soll jetzt dem Zigarettenkonsum in buddhistischen Einrichtungen Einhalt gebieten.
Mag ein rational denkender Westler Buddhismus für eine praktische und lebensnahe Geisteswissenschaft halten – in Thailand ist es eine Religion. Staat und buddhistische Institutionen sind hier seit Jahrhunderten eng miteinander verflochten. Die politischen Verhältnisse änderten sich oft, die Ordensregeln des Vinaya blieben für die mönchische Sangha ehernes Gesetz und hielten ihn bis heute zusammen. Ein unter König Rama V. im Jahre 1902 erlassenes „Gesetz zur Regelung der Verwaltung der Sangha“ sicherte dem organisierten Mönchstum einen privilegierten Status in der Gesellschaft. Mit ihm wurde – parallel zum Staat – eine Hierarchie von geistlichen Ämtern geschaffen, mit dem „Obersten Patriarchen“ an der Spitze, der für die nächsten 90 Jahre vom König bestimmt wurde. Praktisch bekam der Buchstabe des Vinaya ein noch größeres Gewicht, freiere Auslegungen der Lehre Buddhas dagegen waren wenig gefragt. Nachdem sich eine regelrechte buddhistische Orthodoxie etabliert hatte, wurde die staatliche Kontrolle vor 10 Jahren gelockert. Einen eigenen bürokratischen Apparat hatte der buddhistische Klerus längst.
Nun aber, nach all den Skandalen, ist die Politik alarmiert: Sind es nur einige schwarze Schafe, welche die Stellvertreter der Lehre Buddhas in Verruf bringen oder tut sich hier ein Abgrund auf? Sind gar die thailändischen Journalisten mit ihren Berichten über spektakuläre Einzelfälle Mitschuld an der Misere?
Ein neues Gesetz zur Regelung der Verwaltung der Sangha soll her, das seitdem in Parlamentsausschüssen, Tempeln und Medien heiß diskutiert wird: Wie lässt sich die Disziplin in den Klöstern stärken? Auf welche Weise schafft man mehr Transparenz über die Verwendung von Spenden? In einem Entwurf ist vorgesehen, den Ruf zumindest des Obersten Patriarchen und des Obersten Sangha Rates, dem höchsten buddhistischen Gremiums Thailands, besser zu schützen: Wer sie öffentlich „verunglimpft“ soll mit höheren Geld- und Freiheitsstrafen büßen – ein Seitenhieb auf sensationshungrige Journalisten. Mönche demonstrierten zu Tausenden in der Hauptstadt, da sie fürchteten, die neue „Sangha Bill“ könne dazu führen, dass bald Laien über Geld und Geschicke der Mönche bestimmten. Inzwischen wird sogar über die Schaffung eines Ministeriums für Buddhismus nachgedacht.
Phra Dhammapitaka, einer der bekanntesten Mönche Thailands, lässt der Streit um die neue Sangha Bill hingegen ziemlich kalt. Der nach wie vor hoch geachtete Gelehrte sagte öffentlich, die Diskussion um das neue Gesetz ginge am eigentlichen Ziel des Buddhismus vorbei: Nämlich durch individuelle Übung und Selbsterziehung die Ursachen des Leidens auszumerzen.