Afghanische Taliban-Fanatiker zerstören Felsenstatuen
Nachruf auf die Buddhas von Bamiyan
[Aus: Buddhismus Heute, Nr. 33/2001] © Michael den Hoet / „Buddhismus Heute“
Es muss ein wirklich absurdes Bild gewesen sein: Panzer werden zusammengezogen, Flugabwehr-Raketen in Stellung gebracht, Massen von Dynamit aufgetürmt. Doch die Waffen richten sich nicht gegen eine gefährliche Armee, sondern gegen zwei in Felsen gehauene friedliche Buddha-Statuen, die sich seit über 1 ½ Jahrtausenden nicht gerührt haben.
In Afghanistan begannen Ende Februar dieses Jahres Einheiten der radikal-islamischen Taliban-Milizen mit der Zerstörung zweier monumentaler Buddha-Statuen im Tal von Bamiyan, ca. 130 km westlich von Kabul gelegen. Ihr geistlicher Anführer Mullah Mohammad Omar hatte sie als „Götzen“ verhöhnt und ihre Zertrümmerung angeordnet, da sie „unislamisch“ gewesen seien. Die beiden in Felsen gehauenen stehenden Buddhafiguren, 53 bzw. 38 Meter hoch, weltweit einzigartige Kunstwerke, waren einst von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt worden und standen damit auf der internationalen Denkmalschutzliste weit oben. Etwa zeitgleich wurden die noch verbliebenen Statuen im afghanischen Nationalmuseum in der Hauptstadt Kabul – Überreste einer einmaligen Sammlung von ehemals 6000 Objekten – vernichtet. Auch die letzten buddhistischen Skulpturen in den Provinzen Herat, Kandahar, Nangahar und Ghasni fielen dem Bildersturm zum Opfer. Da die zumeist über 1500 Jahre alten Figuren teilweise aus extrem hartem Gestein bestanden, waren große Anstrengungen erforderlich, um sie zu demolieren. Größere Mengen Sprengstoff wurden eingesetzt.
Die Zerstörungsaktion im Bürgerkriegsland löste weltweit Bestürzung aus. Dem internationalen Protest aus den buddhistischen sowie den meisten westlichen Ländern schlossen sich sogar China sowie die Führungen vieler islamischer Staaten an. Selbst Pakistan, bisher engster Verbündeter der Taliban-Rebellen und einer von drei Staaten, die das Kriegsregime in Kabul als Regierung diplomatisch anerkannt haben, bekundete seine klare Ablehnung. Auch die Islamische Welltkonferenz (OIC) verurteilte diesen Akt der religiösen Intoleranz und betonte, dass „die Existenz der Statuen dem Islam nicht schadeten“. Die neue Regierung im Iran bot gar an, die Statuen aufzukaufen und gegebenenfalls an andere Staaten weiter zu vermitteln. In Deutschland äußerte sich Außenminister Fischer „entsetzt“ über das Vorgehen der Taliban; Kulturstaatsminister Nida-Rümelin verglich die Vernichtungskampagne mit der Bücherverbrennung hierzulande zu Zeiten des Nationalsozialismus. Als am 9. März auf Initiative Deutschlands die Vollversammlung der Vereinten Nationen mit den Stimmen von über 100 Staaten eine Resolution annahm, in der die Aktion als „irreparabler Schaden für die Menschheit“ verurteilt wurde, war die Zertrümmerung der Felsenbuddhas von Bamiyan bereits weit fortgeschritten. Die extremistische Taliban-Gruppe, die mittlerweile über 90 % Afghanistans kontrolliert, sorgte erneut für negative Schlagzeilen.
Die zwei riesigen Buddhafiguren von Bamiyan waren Zeugnisse einer einst blühenden buddhistischen Hochkultur im Gebiet des heutigen Afghanistan. Die Grundlagen dafür wurden nicht weit entfernt von hier gelegt. Es wird gesagt, dass einst der historische Buddha Shakyamuni vor über 2500 Jahren mit seinem Gefolge den Indus-Fluss überschritten habe, um einer Einladung des Königs Indrabodhi zu folgen. Dieser Monarch, dessen Reich Urgyen ungefähr im heutigen Grenzgebiet zwischen Afghanistan und Pakistan gelegen haben soll, war ein so außergewöhnlicher Schüler gewesen, dass er gar die Diamantweg-Übertragungen vom Buddha bekam und Linienhalter wurde. Als einige Generationen später, um 330 v. Chr., das Heer des griechischen Feldherren Alexander der Große für wenige Jahre das gesamte Gebiet zwischen Griechenland und Indien eroberte, begegneten sich in dieser Gegend europäische und buddhistisch-asiatische Kultur. Zwar fiel das Großreich Alexanders nach dessen frühen Tod bald auseinander, doch es blieb eine größere Schar hochgebildeter Griechen zurück, die Städte gründeten und noch für längere Zeit die politischen Geschicke der Diadochenreiche in Vorderasien bestimmten. Es war hier, an der Schnittstelle zwischen hellenistischer und indischer Kultur, wo auch die ersten buddhistischen Statuen entstanden.
Abbildungen von Buddha Shakyamuni hatte es in den ersten Jahrhunderten nach seinem Ableben nicht gegeben. Denn es ging seinen Schülern nicht so sehr um den Buddha als Person, sondern um das, was er lehrte und manifestierte. Da aber der voll erwachte Zustand eines Buddha weder mit Worten zu beschreiben noch mit Bildern darstellbar ist, aber auch weil die buddhistischen Praktizierenden nicht mit hinduistischer Götterverehrung in Verbindung gebracht werden wollten, verzichteten sie zunächst darauf den historischen Buddha zu malen oder plastisch darzustellen. Er wurde künstlerisch allenfalls in “unsichtbarer“ Form, etwa mit Fußabdrücken, einem leeren Thron oder einem Stupa angedeutet. Später erschienen Bildnisse von Prinz Siddharta aus der Zeit vor seiner Erleuchtung. Erst durch das griechische Schönheitsideal inspiriert, fingen die ersten Künstler im Grenzgebiet zwischen Indien und dem nordwestlich angrenzenden Baktrien allmählich an, dem Erleuchteten in verschiedenen äußeren Formen und Ausstrahlungen Gestalt zu geben. Sie nahmen dabei westliche Vorbilder, insbesondere die griechische Statue des Licht- und Weisheitsgottes Apollo, als Leitfiguren und kombinierten sie mit den Beschreibungen über Buddha Shakyamuni aus den überlieferten Texten. Die entstandenen buddhistischen Statuen waren somit eine Frucht des Kontaktes zwischen Ost und West.
Unter großem Aufwand entstanden die Buddhas von Bamiyan zwischen dem zweiten und fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Sie sollten die Bewohner der umliegenden Gegend segnen (wo sich eine große buddhistische Klostersiedlung befand), aber auch die Reisenden, die auf der Seidenstraße, der Haupthandelsroute zwischen Vorderasien und China unterwegs waren und denen ein langer, gefährlicher Marsch über das Pamir-Gebirge und durch die Taklamakan-Wüste bevorstand. In den benachbarten Felswänden befinden sich noch immer zahlreiche Höhlen, die früher gerne zum Meditieren genutzt wurden, im Bürgerkrieg der letzten Jahre allerdings vorwiegend als Verstecke für Heckenschützen dienten. Als die größten Teile des heutigen Afghanistan im 7. und 8. Jahrhundert von islamischen Kriegern erobert wurden, konnte sich der Buddhismus im Bamiyan-Tal zunächst behaupten.
Fast 300 Jahre später wurde auch dieses Gebiet islamisiert. Die Klöster und die anderen buddhistischen Stellen verschwanden; mit ihnen wurde ein großer Schatz an Texten vernichtet, so dass heute kaum noch Details über die mehrere Jahrhunderte währende buddhistische Hochkultur dieses Landes bekannt sind. Viele Statuen überstanden die erste Zerstörungswelle, wenn auch nicht unbehelligt. Den beiden Felsenskulpturen in Bamiyan wurden die Gesichter weg gemeißelt; im 17. Jahrhundert versuchten Soldaten des fanatischen Moslem-Herrschers Aurangzeb die große Buddhafigur durch Kanonenbeschuss zum Einsturz zu bringen – vergeblich. Viele Statuen und andere buddhistische Kunstwerke, die in der Zeit der ersten Moslem-Invasionen versteckt worden waren, tauchten später wieder auf. In den 1920er Jahren entdeckten und inventarisierten Französische Forscher im Zuge mehreren Expeditionen ca. 30 000 Objekte aus der buddhistischen Periode. Ende der 60er Jahre begannen, unter der Leitung eines Expertenteams aus Indien, umfangreiche Vermessungs- und Restaurierungsarbeiten an den Buddhas von Bamiyan, die bis 1977 andauerten. Unter indischen Archäologen gibt es jetzt Überlegungen, anhand der genauen Dokumentation original getreue Kopien anfertigen zu lassen.
Die Früchte der Wiederherstellungsarbeiten währten nicht lange. Nach politischen Wirren marschierte Ende 1979 die sowjetische Armee nach Afghanistan ein, um ein pro-kommunistisches Regime zu stützen. Doch die vollständige Eroberung des Landes gelang ihr nicht. In den überfüllten Flüchtlingslagern, besonders in Pakistan, formierten sich schwer bewaffnete Partisanengruppen, die so genannten „Mudjaheddin“, die unter dem Banner des Islam den militärischen Widerstand unter den verschiedenen Volksgruppen Afghanistans organisierten. Durch Kämpfe wurden auch die Stauen im Bamiyan-Tal erneut beschädigt. 9 Jahre später zog Gorbatschow die sowjetischen Truppen aus dem Land ab; der Vielvölkerstaat Afghanistan versank im Bürgerkrieg. Als sich 1994 die Gruppe der „Taliban“ abspaltete, rächte es sich bald, dass die USA – während der letzten Jahre des „Kalten Krieges“ zwischen Ost und West – die Vertriebenen mit Waffen und militärischer Logistik ausgestattet hatten, ohne gleichzeitig viel für deren Bildung zu tun. Unter den mehr als 3 ½ Millionen Menschen in pakistanischen Flüchtlingscamps rekrutierten die Taliban viele der Frustriertesten von ihnen – meist Analphabeten – und lockte sie mit kostenlosem Essen und Kleidung in ihre Koranschulen, wo ihnen eine extrem restriktive Auslegung ihrer Religion nahe gebracht wurde. 1996 eroberten sie drei Viertel des Landes, einschließlich Kabul, und errichteten eine Schreckensherrschaft: Es kam zu Massakern an der Bevölkerung, die Grundrechte wurden stark eingeschränkt, vor allem die der Frauen, die das Haus nur noch mit Totalschleier und in Begleitung ihres Ehemannes oder eines männlichen Verwandten ersten Grades verlassen dürfen. Naturkatastrophen und Hungersnöte sind dazu gekommen, von 18 Millionen Afghanen befinden sich 12 Millionen auf der Flucht.
Darf man sich angesichts dieses großen Elends mit ein paar zerschossenen Buddhastatuen aufhalten?
Ja, man darf. Denn der Aufschrei um diese symptomatische Kriegstat lenkt nicht von den Ereignissen im geschundenen Afghanistan ab, sondern richtet erst recht die Aufmerksamkeit auf sie. Und diese wirklich kulturlose Operation erinnert uns verstärkt an das, wofür die Buddhas von Bamiyan eigentlich stehen bzw. gestanden haben. Tröstlich ist die Reaktion der Staatengemeinschaft. Die weltweit bekundete Solidarität war einhellig und erfasste sogar islamische Staaten, von denen man eine solche Reaktion nicht unbedingt erwartet hätte. Sie appellierte an Mitgefühl, Toleranz und Geschichtsbewusstsein, warnte vor Fanatismus und hielt uns damit Werte vor Augen, welche die Menschheit mehr denn je braucht. Mit dieser zerstörerischen Aktion hat sich ein Schreckensregime, das einen grausamen Krieg gegen das eigene Volk führt und vor allem Frauen auf furchtbarste Weise unterdrückt, sogar bei potenziellen Verbündeten Sympathien verscherzt und sich selbst international geschwächt. Es bedurfte sehr viel Munition, um diese Denkmale einer früheren Hochkultur auseinander zu brechen; Munition, die jetzt nicht mehr gegen Menschen gerichtet werden kann. Und vielleicht haben die Buddhas von Bamiyan, 900 Jahre nach dem Verschwinden des Buddhismus aus dieser Region, in den letzten Tagen ihrer Existenz den Menschen im Land an der früheren Seidenstraße damit doch noch einen letzten Dienst erwiesen. Möge die große menschliche Not in diesem gequälten Land bald aufhören!
(12.3.2001)